Biografiearbeit und Selbstheilungskräfte

Biografiearbeit und Selbstheilungskräfte

Wie man mit Biografiearbeit die Selbstheilungskräfte stärken kann.

Biografiearbeit hat das Ziel Selbstheilung zu unterstützen, sodass Gesundheit erlangt oder erhalten werden kann. Wenn wir das Leben als verstehbar, handhabbar und sinnhaft empfinden, können wir, so Aaron Antonovsky, unsere Gesundheit erhalten oder erlangen. Biografiearbeit ist ein Weg das Leben zu verstehen, zu gestalten und einen Sinn darin zu finden. In der Biografiearbeit kann man seine eigenen Kräfte erleben und stärken.

 

„Niemand kann einen anderen Menschen gesund machen. Jede Heilung ist immer und grundsätzlich Selbstheilung.“
Diese Sätze stammen von Prof. Dr. rer. nat. Gerald Hüther, dem Leiter der Zen-tralstelle für neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Heidelberg/Mannheim. „Die ärztliche Kunst besteht darin,“ so Hüther weiter, „diesen Prozess der Selbstheilung zu unterstützen. Auf körperlicher Ebene ebenso wie auf psychischer Ebene. Denn beide sind untrennbar miteinander verbunden. “

Nun ist Biografiearbeit keine ärztliche Kunst im engeren Sinne (denn sie wird meistens nicht von Ärzten ausgeübt), dennoch hat sie das Ziel, den Prozess der Selbstheilung zu unterstützen, sodass Gesundheit erlangt oder erhalten werden kann.

Was ist Gesundheit?

Markus Treichler, leitender Arzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Kunsttherapie und Heileurythmie an der Filderklinik bei Stuttgart, definiert Gesundheit folgendermaßen: „Gesundheit ist die Fähigkeit, mit den Störungen wie mit den Förderungen, mit den Gefährdungen und Kränkungen ebenso wie mit den Hilfen und Unterstützungen im Leben so umzugehen und sie in das eigene Wesen und Leben integrieren zu können, dass man Richtung und Gestalt seines Lebens findet und beibehält.“

Auf welchen Kräften beruht Gesundheit?

Der amerikanische Soziologe Aaron Antonovsky, den man als Vater der Salutogenese3 bezeichnet, hat diese Frage untersucht. Er fand drei Faktoren oder Kräfte, die es Menschen ermöglichen, gesund zu bleiben oder gesund zu werden:

  • Verstehbarkeit: Die Kraft darauf zu vertrauen, dass das, was (mir) im Leben geschieht, grundsätzlich verstehbar ist – auch wenn ich es jetzt vielleicht noch nicht verstehe.
  • Handhabbarkeit, Bewältigbarkeit: Die Kraft darauf zu vertrauen, dass das, was (mir) im Leben geschieht, prinzipiell zu handhaben, zu bewältigen ist – durchaus auch mit der Hilfe anderer.
  • Sinnhaftigkeit, Bedeutsamkeit: Die Kraft darauf zu vertrauen, dass das, was (mir) im Leben geschieht, einen Sinn, eine Bedeutung hat, dass es sich grundsätzlich lohnt, die Herausforderungen des Lebens anzunehmen – auch wenn ich es jetzt vielleicht noch nicht erkenne. Diese dritte Kraft ist nach Antonovsky die wichtigste.

Die Basis dieser drei Vertrauenskräfte ist die Erfahrung. Wenn ich erfahren habe und erfahre, dass ich ein Lebensereignis, einen Menschen, mich selbst, verstehen kann, kann ich leichter darauf vertrauen, dass ich mein Leben auch in Zukunft verstehen und bewältigen kann. Wenn ich erlebt habe, dass ein Lebensereignis für etwas gut war, sich die ganze Mühe gelohnt hat, kann ich leichter davon ausgehen, dass auch die zukünftigen Ereignisse meines Lebens einen Sinn haben.

Wie kann Biografiearbeit diese drei Kräfte aktivieren?

Die Arbeitsweisen in der Biografiearbeit sind so vielfältig, dass sie hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können, allen gemeinsam ist jedoch, dass sie auf den folgenden Tätigkeiten beruhen:

  • Wahrnehmen (Die äußere Situation und die inneren Empfindungen, Gedanken, Impulse ohne Wertungen wahrnehmen.)
  • Ausdrücken (Das Erlebte, Wahrgenommene in Worte fassen, mit künstlerischen Mitteln zum Ausdruck bringen.)
  • Erkennen (Die äußeren und inneren Faktoren verstehen, die zu einer Situation geführt haben oder führen. Innere und äußere Zusammenhänge erkennen. Herausfinden wofür eine Situation gut war oder gut sein könnte. Einordnen in einen größeren Zusammenhang.)
  • Verwandeln (Fähigkeiten üben. Neues lernen. Neues tun.)

Wenn ein Lebensereignis im Sinne der oben skizzierten Schritte wahrgenommen, ausgedrückt und erkannt wird, kann die Verstehbarkeit unmittelbar erlebt werden. Wenn sich erste Erfolge in der Verwandlung einstellen, kann die Erfahrung der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit gemacht werden. Aus der in die Zukunft gerichteten Frageperspektive, die wesentlich zur Biografiearbeit dazugehört, z.B. „Wofür könnte dieses Ereignis gut gewesen sein?“, kann sich die Sinnhaftigkeit oder Bedeutsamkeit des Lebens erschließen.

Biografiearbeit und die Aktivierung der Ichkraft

Alle vier Aktivitäten (Wahrnehmen, Ausdrücken, Verstehen, Verwandeln) erfordern Anstrengung, nicht umsonst heißt es Biografiearbeit. Es ist Arbeit, die eigenen Gefühle, Gedanken, Impulse wahrzunehmen und auszudrücken; es bedarf einiger Anstrengung, sich selbst in einer Situation wie von außen zu betrachten und dabei alle Bewertungen zurückzuhalten. Es ist viel Kraftaufwand nötig, um eine neue Verhaltensweise regelmäßig zu üben. Biografieberater bezeichnen diese Aktivitäten als Ich-Tätigkeiten. Diese Arbeit lohnt sich, nicht nur um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, sondern auch um die eigene Ichstärke und Selbstgestaltungskompetenz zu erleben. Indem ich meine Kräfte anstrenge, erlebe ich sie; und, wie bei einem Muskel, wachsen meine Kräfte dadurch, dass ich sie anstrenge.

 


Quellen

  • „Selbstheilungskräfte aktivieren.“ Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 9, 2. März 2012
  • Markus Treichler, „Wunden, die die Seele schlägt.“ Amthor Verlag, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-934104-26-6, S.20
  • „Salutogenese“ Wortschöpfung aus dem Lateinischen salus ‚Gesundheit‘ und genese ‚Entstehung‘, also etwa „Gesundheitsentstehung“

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